Müssen Bilder verstanden werden?

«Wenn ein Bild verstanden wird, ist das ein künstlerischer Unfall», findet der Leipziger Künstler Neo Rauch (*1960).

Wer seine riesigen, traumwandlerischen Bilder in wenigen rauchigen Farben kennt, wird erleichtert sein, das vom Künstler selbst zu hören, denn was Neo Rauch malt, ist nicht verständlich.

Dieser besonnene und stille Künstler hat mit seinen Aussagen, meine ganz Mission von: «Bilder verkünden jahrhundertelang gültige Botschaften», «Die Kunstgeschichte ist das Familienalbum der Menschheit» und «In der Kunst erkennen wir, wer wir Menschen sind, waren und sein werden» usw. fast über den Haufen geworfen.

Einerseits ist Neo Rauch selbst eine Quelle von Kunst. Von ihm wird sie erdacht und geschaffen. Das heisst, er kann dazu jede mögliche Haltung haben, er entscheidet als Künstler, was Kunst sein soll, zumindest seine eigene Kunst. Andererseits ist er ein Kind seiner Zeit und diese Zeit bringt ihre eigene Kunst hervor, also auch im Grösseren betrachtet. Heutzutage kann das mit oder ohne Botschaft sein oder sogar mit der Verführung überall Botschaften zu suchen, ohne sie finden zu können, wie es Neo Rauch gelingt.

In meiner Arbeit bei Personal Art Guide kümmere ich mich um die Kunst der Alten Meister. Sie haben tatsächlich Botschaften für die Menschheit gemalt, gebaut und gehauen, die bis in alle Ewigkeit gelten sollten. Die Ewigkeit war für die Menschen viele Jahrhundert lang nicht nur eine Option, sondern der nächste Schritt nach dem Tod. Also machte dieses Vorgehen Sinn und wir sind in der glücklichen Lage, ihre Botschaften auch eine halbe Ewigkeit später noch entschlüsseln zu können. Das Schöne daran ist, dass sie fast immer noch Gültigkeit haben, denn sie erzählen von den grundlegendsten Gefühlen von uns Menschen und wie wir damit über die Jahrhunderte durchgekommen sind.

Neo Rauch hat von den Alten Meistern viel gelernt, denn er ist ein hervorragender Maler. Ich finde, seine Figuren scheinen direkt der Biedermeierzeit entsprungen zu sein, sie erinnern an die kolorierten Zeichnungen in Struwwelpeter. Der Maler genoss in der ehemaligen DDR eine durch und durch akademische Ausbildung in der Malerei.

Das eingangs genannte Zitat hat mich so beschäftigt, dass ich eine Podcast-Episode dazu aufgenommen habe mit dem Titel: «Neo Rauch vs. Caravaggio», die am 3. Mai erscheint, herzliche Empfehlung.

Für Neo Rauchs nicht entschlüsselbare Malerei spricht, dass er weiss, was er tut. Er sagt selbst, dass seine Figuren von einer «somnambulen Introspektion» geprägt sind. Interaktion ist damit von vornherein nicht möglich, es kann sich nichts entwickeln. Trotzdem sind die Bilder ausdrucksstark und diesesr Widerspruch treibt die Sammler zu eindrücklichen Interpretationsschwällen ohne Ziel.

Neo Rauch geht es, wie er selber sagt, um die Ausgewogenheit von Gut und Böse in seinen Bildern. Er sieht seine Bilder als Vorgabe, wie wir die Welt sehen sollten.

Und damit ist die Diskussion angestossen!

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Gibt es eine Geheimsprache in der Kunst?