Vatikanische Museen: 520 Jahre Kunst- und Sammelfieber
Päpste waren nicht immer die ergebensten Christen. Viele von ihnen gierten nach dem Amt, weil es schier unendlichen Reichtum und weltweite Macht versprach. Das „im Namen des Herrn“ nahmen sie dafür gerne in Kauf. Und wenn diese Leute eins verstanden haben, dann dass Kunst Identität und Legitimation verleiht, wenn man sich nur auf schlaue Art und Weise damit in Verbindung bringen kann.
Wer sich auf den rund sieben Kilometer langen Rundgang durch die Sammlungen der Vatikanischen Museen begibt, bewegt sich nicht nur durch eine der grössten Kunstsammlungen der Welt – er wandelt durch das Herz der katholischen Kulturgeschichte, durch Räume, in denen Schönheit, Glauben und Macht seit Jahrhunderten zusammenspielen.
Der Anfang
Der Anfang dieser monumentalen Sammlung ist ebenso symbolisch wie programmatisch: Als Papst Julius II. 1503 gewählt wurde, brachte er ein besonderes Kunstwerk mit in den Vatikan – den Apollon von Belvedere. Diese antike Marmorskulptur, in der Renaissance gefeiert als Inbegriff klassischer Schönheit, gilt heute als das erste Objekt der Vatikanischen Museen. Damals war sie mehr als nur ein Kunstwerk. Der Apollon war ein kulturelles Machtzeichen, eine bewusste Positionierung Roms als Erbin der Antike.
Papst Julius II., der auch Michelangelo mit der Ausmalung der Sixtinischen Kapelle beauftragte, brachte das erste Stück in jene Sammlung, die in den folgenden Jahrhunderten zur umfangreichsten der Christenheit anwuchs. Heute beherbergen die Vatikanischen Museen mehr als 70.000 Objekte.
Was ist ein Museum?
Entgegen der Vorstellung, es handle sich um ein einziges Museum, ist der Begriff „Vatikanische Museen“ ein Sammelbegriff für eine beeindruckende Vielzahl an Sammlungen, Galerien und thematischen Museen:
Die Pinakothek mit Werken von Giotto, Raffael, Leonardo da Vinci und Caravaggio.
Die Gregorianisch-Ägyptischen und -Etruskischen Museen, die seltene Artefakte aus der Antike zeigen.
Die Galerie der Kandelaber, der Wandteppiche und der Landkarten, deren dekorative Räume selbst zu Kunstwerken werden.
Das Pio-Clementinische Museum, in dem Skulpturen wie der berühmte Laokoon ausgestellt sind – ein Meisterwerk hellenistischer Kunst.
Die Moderne Sammlung religiöser Kunst.
Das Zentrum und gleichsam das spirituelle Finale des Rundgangs ist die Sixtinische Kapelle – weltberühmt für Michelangelos Deckenfresken und das „Jüngste Gericht“, aber vor allem Ort des Konklaves, der Papstwahl.
7 Kilometer Ewigkeit
Wer die Museen besucht, sollte sich auf einen langen Weg gefasst machen: Sieben Kilometer misst der offizielle Rundgang – eine Strecke, die sich wie ein Spaziergang durch die Kunstgeschichte anfühlt. Vom antiken Griechenland über die Hochrenaissance bis in die Gegenwart spannt sich ein Bogen. Und doch bleibt alles in einer Form verdichtet, wie es nur im Vatikan möglich scheint: Kunst nicht als Beiwerk, sondern als Ausdruck einer universellen Idee – in früheren Zeiten auch Mittel zum Zweck.
Dabei ist der Fussweg nicht nur lang, sondern auch rekordverdächtig: Mit jährlich über 6 Millionen Besucher und Besucherinnen gehören die Museen zu den meistbesuchten der Welt. Doch es gibt auch ruhigere Ecken, zum Beispiel in den Vatikanischen Gärten. Sofern man für den Zugang eine Führung gebucht hat…
Kunst als Instrument der Diplomatie
Was die Vatikanischen Museen von vielen anderen Häusern unterscheidet, ist nicht nur ihre lange Geschichte, sondern auch ihre politische Rolle. Der Vatikan nutzt seine Kunstschätze seit jeher als Mittel der kulturellen Diplomatie. Ob Leihgaben an grosse Ausstellungen oder eigene Beiträge zur Biennale in Venedig – die Auswahl der präsentierten Werke erzählt viel über das Selbstverständnis des Heiligen Stuhls. Und manchmal auch über das, was er verschweigt.
Denn trotz der überwältigenden Ausstellung ist längst nicht alles zugänglich. Zahlreiche Werke lagern in Depots oder sind Teil interner Sammlungen, etwa in der Biblioteca Apostolica oder im geheimen Archiv (heute Apostolisches Archiv). Diese Tatsache ist ebenso faszinierend, wie sie kritisiert wird.
Die Vatikanischen Museen sind nicht nur ein touristisches Muss. Eigentlich sind sie das nicht, in meinen Augen. Diese „Hauptsache-ich-bin-dagewesen“-Haltung passt hier nicht. Sie passt eigentlich nirgends. Ein Spaziergang durch diese Hallen ist eine Reise durch Jahrhunderte geistiger, ästhetischer und politischer Geschichte, eine Reise durch die Kunstgeschichte. Wer sich dafür Zeit nimmt – am Besten ausserhalb der Hauptsaison – erlebt, was Museen in ihrem tiefsten Wesen sein können: ein Raum, in dem sich Mensch und Zeit begegnen.