Regen, Dampf und Geschwindigkeit
Hach, diese naive Romantik! Bei Turner ist das wunderschön zu sehen. Der arme Kerl wusste kaum, was Eisenbahnen bedeuten. Mit Leinwand, Pinsel und Regenschirm in der Landschaft sitzend, ohne zu merken, dass diese idyllische englische Landschaft der Industrialisierung vielleicht nicht mehr lange standhalten kann. Den Künstler hat nur das Licht, der Dampf, der Regen interessiert.
Ich hätte nicht so angefangen, wenn das nicht weit gefehlt wäre! Nochmal von vorne:
Der englische Künstler William Turner (1775-1851) malte im Jahr 1844 einen Güterzug in voller Fahrt über eine Brücke donnernd. Es ist ein Zug der Great Western Railway, der im Nieselregen über das Maidenhead-Viadukt rauscht.
Das Bild heisst „Rain, Steam and Speed - The Great Western Railway“ und hängt in der National Gallery in London.
Der neblige Eindruck, die riesigen Wolken und die durchbrechenden Sonnenstrahlen sind typisch für Turner. Er liebte diese Lichteffekte, die von den Naturgewalten wie Sonne, Wind, Regen geschaffen werden.
Die Wolken haben übrigens nichts mit der Dampflok zu tun. Es ist das Wetter. Damals stiessen die Loks nur kleine Wölkchen aus, Turner hat sie deutlich erkennbar gemalt.
Geschwindigkeit malen
Alles auf diesem Bild, beim Titel angefangen, deutet darauf hin, dass Turner hier die Fortschritte der Industrialisierung nicht verleugnete, sondern im Gegenteil verherrlichte! Allerdings sind einige der Details recht winzig, so dass man dem Bild recht nahe kommen oder weit in das Bild hineinzoomen muss, um sie zu erkennen. (Das funktioniert übrigens sehr gut mit der Lupenfunktion auf Google Art & Culture.)
Fangen wir im Grossen an, mit der Perspektive. Die Eisenbahnbrücke führt in starker Verkürzung direkt ins Bild. Die Brücke und die Lok sind die dunklen und damit stark wirkenden Elemente in einer sonst hellen und vom Wetter her sogar aufklarenden Umgebung. Die verwischten Konturen des schwarzen Zuges deuten Tempo an.
Links von der Brücke ist ein Boot auf dem Wasser und rechts auf dem Feld, ganz am rechten Bildrand, treibt ein Bauer Pferde mit dem Pflug über den Acker. Im ruhigen Gleiten des Bootes auf dem Wasser und der langsamen Kraft des Pfluges soll Turner Gegenpole zur vergleichsweis viel stärkeren und schnelleren Dampfmaschine geschaffen haben.
Ausserdem weiss man, dass er nachträglich noch einen Hasen auf die Gleise malte. Er ist wirklich kaum mehr zu sehen, denn die Farben sind im Laufe der Jahre transparent geworden. Wer genau hinschaut, kann den Hasen etwa in der Mitte der Strecke vom Bildrand zur Lokomotive gerade noch so erkennen. Auch dieses flinke Tier soll verdeutlichen, wie schnell sich die Lokomotive bewegt, die den Hasen gleich einholen wird, wenn er nicht rechtzeitig von den Gleisen kommt.
Turner war also kein nostalgischer Landschaftsmaler, der von Früher träumte. Als Kind seiner Zeit war er begeistert von der Eisenbahn, der Geschwindigkeit und der Kraft der Maschinen. Diese Freude am Tempo, das wir im Dampf und Regen fast spüren können, hat er in diesem Bild gemalt.