Trotz Raubkunst und missglückter Restitution ins Museum gehen?
Kann man heutzutage eigentlich noch guten Gewissens ins Museum gehen? Und wenn nein: Was sollte dagegen sprechen? Es ist kaum zu fassen, was wir in einem Museum alles zu sehen bekommen:
Raubkunst der Kolonialzeit. Eine Lieblingsstrategie Napoleons, die dazu führte, dass sich sein Volk mit Dingen identifizieren konnte, die sie nie in der Lage gewesen waren zu schaffen. Napoleon präsentierte seine systematisch und in grossem Stile nicht nur in Europa zusammengestohlene Kunst als Wissen im Museum. Der Louvre wurde kurzum zu Musée Napoleon umbenannt, so dass jeder ungefragt die Information bekam, wem sie solche Meisterleistungen denn zu verdanken haben.
Raubkunst der Nazis. Immer noch. Dinge, die sie nicht nur gestohlen hatten, sondern auch grossartige Kunstwerke, die Juden zum Schleuderpreis verschachern mussten, damit sie sich alle erpressten Scheinsteuern und zum Schluss Geld für die Flucht überhaupt leisten konnten.
Die Benin-Bronzen: Staatlich geplanter Raubzug mit dem Zweck der eigenen Bereicherung, denn viele der wertvollen Artefakte, die Briten aus dem Königspalast raubten, wurden direkt im Anschluss verkauft, um die Kosten ebendieses Raubzuges zu decken.
Die Restitution, die Rückgabe von geraubter Kunst an ihre rechtmässigen Besitzer oder deren Erben, ist ein wichtiges Thema in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kolonialismus und des Nationalsozialismus, aber gleichzeitig auch mit der Sammlungsgeschichte eines Museums.
Zum Glück haben verschiedene europäische Museen und Institutionen begonnen, Kunstwerke an ihre rechtmässigen Eigentümer oder deren Nachfahren zurückzugeben. Die folgenden fünf Fälle zeigen, wie komplex oder schwierig die Rückgabe von Raubkunst manchmal auch ist.
Fall 1: Klimts „Adele Bloch-Bauer I“ – Österreich / USA
Das Porträt „Adele Bloch-Bauer I“ von Gustav Klimt gilt als eines der bedeutendsten Werke des österreichischen Jugendstils. Es wurde 1907 von Klimt im Auftrag des wohlhabenden jüdischen Zuckerfabrikanten Ferdinand Bloch-Bauer gemalt. Das Bild zeigt dessen Frau Adele in goldener Ornamentik, stark beeinflusst vom byzantinischen Stil und Beispiel Klimts sogenannter „Goldener Periode“.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland 1938 wurde die Familie Bloch-Bauer enteignet. Ihr gesamter Besitz, darunter zahlreiche bedeutende Kunstwerke, wurde von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. Klimts Porträt von Adele gelangte nach dem Krieg ins österreichische Belvedere-Museum, wo es jahrzehntelang ausgestellt wurde – versehen mit einer Inschrift, die fälschlich behauptete, Adele Bloch-Bauer hätte das Bild dem Museum vermacht. Tatsächlich existierte ein Wunsch in ihrem Testament, das Bild möge nach dem Tod ihres Mannes dem Staat überlassen werden. Doch dieser holte sich das Bild selber, noch bevor Ferdinand Bloch-Bauer es hinterlassen konnte.
Nach jahrzehntelanger juristischer Auseinandersetzung reichte Maria Altmann, Nichte von Ferdinand und Adele, gemeinsam mit dem Anwalt E. Randol Schoenberg Klage gegen die Republik Österreich ein. Der Fall wurde schliesslich vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten verhandelt. 2004 entschied das Gericht, dass die Klage zulässig sei und in den USA weiterverfolgt werden könne. Das Verfahren endete 2006 mit einem Schiedsverfahren in Österreich, das zu Gunsten von Maria Altmann entschied. Österreich musste das Bild sowie weitere Werke Klimts an die Erben zurückgeben.
Noch im Jahr der Rückgabe wurde das Werk für 135 Millionen Dollar an den amerikanischen Unternehmer Ronald Lauder verkauft, der es der Neuen Galerie in New York überliess. Es wurde damit zum teuersten Gemälde seiner Zeit. In der öffentlichen Debatte wurde der Fall nicht nur als Sieg der Gerechtigkeit für NS-Opfer gefeiert, sondern auch als Symbol dafür, wie lange europäische Staaten brauchten, um sich ihrer Verantwortung zu stellen.
Die Geschichte des Porträts zeigt exemplarisch, wie sich NS-Raubkunst in den Sammlungen europäischer Museen sang und klanglos etabliert hat – und wie schwierig die juristische und moralische Aufarbeitung noch immer sein kann.
Fall 2: Die Benin-Bronzen – Deutschland, Grossbritannien, Frankreich
Die sogenannten Benin-Bronzen sind eindrucksvolle Kunstwerke der afrikanischen Geschichte. Es handelt sich um Skulpturen, Tafeln, Köpfe und Schmuckgegenstände, die hauptsächlich im 16. Jahrhundert im Königreich Benin (heutiges Nigeria) geschaffen wurden. Sie zeigen Szenen aus dem höfischen Leben, mythologische Darstellungen und Porträts der Oba (König im ehemaligen Königreich Benin). Diese Kunstwerke wurden nicht nur wegen ihrer kunsthandwerklichen Qualität bewundert, sondern auch wegen der raffinierten Gusstechnik.
Im Jahr 1897 unternahmen Britische Truppen eine sogenannte Strafexpedition gegen das Königreich Benin, plünderten den Königspalast und verschleppten Tausende Kunstobjekte nach Europa. Ein Grossteil der Beute wurde anschliessend direkt versteigert, um die Kosten eben dieser Expedition zu decken. So gelangten die Benin-Bronzen in viele europäische Museen, darunter das British Museum in London, das Ethnologische Museum in Berlin sowie Sammlungen in Paris, Wien, Brüssel, Stockholm und weiteren Städten.
Mit der wachsenden Aufmerksamkeit für koloniales Unrecht wuchs in den letzten Jahrzehnten auch der Druck auf europäische Museen, diese Objekte zurückzugeben. Vor allem Nigeria fordert seit den 1960er Jahren die Rückgabe.
Deutschland machte 2022 einen historischen Schritt: Die Bundesregierung beschloss die Rückgabe zahlreicher Benin-Bronzen an Nigeria. Zunächst wurden viele Objekte offiziell übergeben, begleitet von einer feierlichen Zeremonie. Dieser Schritt wurde von vielen Seiten als wichtiger Akt der Wiedergutmachung gewertet, obwohl auch kritisiert wurde, dass die Rückgabe Jahrzehnte zu spät erfolgte. Auch die Rückgabeumstände werden kritisiert, da die Bronzen nicht an den Staat zurückgegeben wurden, sondern in den Privatbesitz des herrschenden Oba von Nigeria.
Grossbritannien dagegen weigerte sich offenbar, die Objekte dauerhaft zurückzugeben. Das British Museum verweist auf das British Museum Act von 1963, das eine Rückgabe verbietet. Es bietet jedoch Leihgaben an, doch das Leihgaben aus England nach Benin kommen, ist ziemlich unwahrscheinlich. Benin würde die Stücke vermutlich nicht zurückgeben. Die Haltung Grossbritanniens stösst international ebenfalls auf Kritik.
Die Geschichte der Benin-Bronzen ist beispielhaft für die koloniale Aneignung von Kulturgütern und den langen, oft konfliktreichen Weg ihrer Rückgabe.
Fall 3: Die Gurlitt-Sammlung – Deutschland / Schweiz
Im Jahr 2012 entdeckten deutsche Ermittlungsbehörden in einer unscheinbaren Wohnung in München eine der spektakulärsten privaten Kunstsammlungen der Nachkriegszeit: Über 1.500 Werke, darunter Gemälde von Picasso, Matisse, Chagall, Liebermann und vielen anderen. Die Entdeckung ging um die Welt und beleuchtete wieder einmal die ungelöste Problematik der NS-Raubkunst in Deutschland. Der Eigentümer war Cornelius Gurlitt, ein zurückgezogen lebender älterer Mann, Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, der während der Zeit des Nationalsozialismus zu den wichtigsten Kunsthändlern des Dritten Reiches zählte.
Hildebrand Gurlitt hatte während der 1930er- und 1940er-Jahre für die Nationalsozialisten gearbeitet, etwa beim Verkauf sogenannter „entarteter Kunst“ ins Ausland, um Devisen zu beschaffen. Gleichzeitig erwarb er Werke, die aus jüdischem Besitz stammten, unter fragwürdigen Bedingungen. Viele dieser Arbeiten landeten nach dem Krieg in seinem privaten Besitz. Die Sammlung ging nach seinem Tod an seinen Sohn Cornelius über, der sie jahrzehntelang versteckt hielt – ohne dass die Öffentlichkeit oder Behörden davon wussten.
Erst ein Zufallsfund durch die Zollfahndung im Rahmen einer Steuerermittlung brachte den Fall ins Rollen. Die Entdeckung wurde 2013 durch einen Magazinartikel publik gemacht und löste eine internationale Debatte aus. Die Frage lautete: Wie konnte eine solche Sammlung über Jahrzehnte im Verborgenen existieren, ohne dass sie Gegenstand der Restitution wurde?
Die deutsche Regierung richtete daraufhin die sogenannte Taskforce „Schwabinger Kunstfund“ ein, um die Herkunft der Werke zu klären. Die Provenienzforschung stiess jedoch schnell an ihre Grenzen: Viele Werke hatten lückenhafte oder unklare Herkunftsangaben, und ein grosser Teil der möglichen Erben war bereits verstorben oder konnte nicht mehr ausfindig gemacht werden. Dennoch konnten mehrere Werke eindeutig als NS-Raubkunst identifiziert werden.
Cornelius Gurlitt selbst starb 2014. In einem überraschenden Schritt vermachte er seine gesamte Sammlung dem Kunstmuseum Bern in der Schweiz. Das Museum nahm das Erbe unter der Bedingung an, dass nur Werke mit rechtlich unbedenklicher Herkunft übernommen würden. Seitdem arbeitet das Museum gemeinsam mit deutschen Behörden an der Erforschung der Provenienzen. Mehrere Werke wurden seitdem an Nachkommen früherer Eigentümer zurückgegeben.
Der Fall Gurlitt zeigte auf dramatische Weise, wie unvollständig die Aufarbeitung von NS-Raubkunst in Deutschland auch Jahrzehnte nach dem Krieg noch ist. Er führte zu einem neuen Bewusstsein für die Notwendigkeit konsequenter Provenienzforschung und zu Forderungen nach grösserer Transparenz im Kunsthandel.
Fall 4: Die Elgin Marbles – British Museum / Griechenland
Die Elgin Marbles sind vielleicht das bekannteste Beispiel für kolonial umstrittenen Kunstbesitz weltweit. Dabei handelt es sich um Marmorskulpturen, Reliefs und architektonische Fragmente vom Parthenon-Tempel auf der Akropolis in Athen. Sie wurden Anfang des 19. Jahrhunderts von Thomas Bruce, 7. Earl of Elgin und damaliger britischer Botschafter im Osmanischen Reich, nach London gebracht und befinden sich seither im British Museum.
Elgin behauptete, eine Genehmigung der osmanischen Behörden zum Abtransport der Skulpturen erhalten zu haben. Diese „Firman“ genannte Erlaubnis wurde jedoch nie im Original gefunden, sondern nur in einer umstrittenen italienischen Übersetzung. Zahlreiche Historiker und Juristen zweifeln bis heute an der Rechtmässigkeit der Ausfuhr. Kritiker werfen Elgin vor, sich an einem der bedeutendsten Monumente der antiken Welt vergangen zu haben.
Seit dem 19. Jahrhundert fordert Griechenland die Rückgabe der Skulpturen. Der Streit wurde vor allem seit den 1980er-Jahren intensiv, als die damalige Kulturministerin Melina Mercouri eine internationale Kampagne zur Rückführung startete. Die Argumente Griechenlands sind sowohl kultureller als auch ethischer Natur: Die Skulpturen seien integraler Bestandteil eines nationalen Heiligtums, das durch ihre Rückkehr wieder vollständig gemacht werden könne.
Das British Museum hingegen beharrt darauf, dass es die Skulpturen legal erworben habe und dass sie im Museum einem globalen Publikum zugänglich seien. Das Museum verweist zudem auf das „British Museum Act“ von 1963, das eine dauerhafte Rückgabe verbietet. Als Kompromiss bot es wiederholt Leihgaben an, die Griechenland jedoch ablehnte – mit der Begründung, man könne sein Eigentum nicht leihen.
2023 kam Bewegung in den festgefahrenen Streit: Medien berichteten über geheime Verhandlungen zwischen dem British Museum und Griechenland über ein langfristiges Leihabkommen. Die britische Regierung stellte jedoch klar, dass ein vollständiger Eigentumsübergang ausgeschlossen sei.
Die Debatte um die Elgin Marbles steht exemplarisch für den Konflikt zwischen einem auf Forschung und Lehre bezogenen Museumsverständnis und nationaler kultureller Identität.
Fall 5: Der Sarkophag des Nedjemankh – Met / Ägypten
Im Zentrum dieses Falles steht ein kunstvoll verzierter, über 2.000 Jahre alter Goldsarkophag aus Ägypten, der einst dem Hohepriester Nedjemankh gehörte. Das komplett vergoldete Artefakt stammt aus dem ersten Jahrhundert vor Christus und ist mit aufwendigen Hieroglyphen und religiösen Szenen versehen. Er galt als eine der spektakulärsten altägyptischen Entdeckungen, die in den letzten Jahren öffentlich zugänglich gemacht wurden – allerdings nicht auf legalem Weg.
Der Sarkophag tauchte 2017 erstmals öffentlich im Metropolitan Museum of Art in New York auf. Zuvor war er durch verschiedene Zwischenhändler über den Kunstmarkt geschleust worden, ausgestattet mit gefälschten Exportpapieren und einer manipulierten Provenienzdokumentation, die ihn als rechtmässig aus Ägypten ausgeführt erscheinen liess. Das Met hatte das Objekt für rund vier Millionen Dollar erworben – in gutem Glauben, wie es später betonte.
Ermittlungen der New Yorker Staatsanwaltschaft ergaben jedoch, dass das Stück 2011 während der Unruhen nach dem Arabischen Frühling illegal aus Ägypten ausgeführt worden war. Ein international agierender Kunstraubring hatte es ausser Landes geschafft und über verschlungene Wege verkauft. Die Ermittler kamen dem Netzwerk auf die Spur, nachdem ähnliche Objekte bei Auktionen aufgetaucht waren.
2019 wurde der Sarkophag an Ägypten zurückgegeben – in einer feierlichen Zeremonie im Beisein des ägyptischen Antikenministeriums. Die Rückgabe galt als bedeutendes Signal im Kampf gegen illegalen Antikenhandel. Das Met entschuldigte sich öffentlich und kündigte umfassende Reformen seiner Provenienzprüfung an. Es erklärte, künftig noch strenger auf Herkunftsnachweise zu achten, insbesondere bei antiken Objekten.
Die hier erzählten Beispiele zeigen, dass es eine absolute transparente Provenienzforschung und natürlich auch die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte braucht, um eine gerechte Lösung zu finden. Die gefragten Institutionen sind die Museen, sie müssen sich ihrer Vergangenheit stellen und Massnahmen ergreifen, um Unrecht wiedergutzumachen, sie sind die die handeln müssen, auch wenn sie „nur“ die Sammelbecken der Objekte sind. Doch das Problem geht uns alle an, denn die Museen, die Sammlungen gehören dem Staat.
Warum nicht einfach einen sauberen Strich machen und alles zurückgeben, was im Laufe der Geschichte gestohlen wurde?
Man kann sich einer gewissen Verantwortung nicht einfach entledigen. Gerade das Beispiel der Benin-Bronzen zeigt, dass diese nicht nur durch grosses Unrecht erstanden wurden – das Material dazu wurde oft durch Sklavenhandel beschafft. Sie einem Menschen in Privatbesitz zu übergeben, auch wenn er gerade der Oba, der traditionelle Herrscher der Yoruba ist, ist sicher fragwürdig.