Günstlinge der Königin oder besonnene Diplomaten?
«Wo hatten die Kunsthistoriker bisher nur ihre Augen?» Diesen Satz hat eine Professorin in einer Vorlesung einmal nebenbei erwähnt, nachdem sie die Betrachtungsweise und die Aussage eines Bildes komplett in seine Einzelteile zerlegt hat und bewiesen hat, dass ihr Bild eine ganz andere Geschichte erzählt, als bisher angeommen.
Als ich kürzlich eine Dokumentation über das rätselhafte Doppelbildnis von Hans Holbein mit dem Titel «Die Gesandten» gesehen habe (www.arte.tv Die Gesandten), fiel mir dieser Satz wieder ein, denn einen Teil der Interpretation der Doku kann ich nicht nachvollziehen.
«Die Gesandten» ist eines der Bilder, die wahrscheinlich nie zu Ende erforscht sein werden. Es ist voller Anspielungen und Symbole.
In der Mitte malte Holbein zum Beispiel ein Memento Mori, einen Totenkopf, den man nur richtig sehen kann, wenn man ihn in einem bestimmten Winkel betrachtet.
Das Bild zeigt ein Doppelbildnis, auf dem zwei Diplomaten dargestellt sind, Jean de Dinteville und Georges de Selve, neunundzwanzig und fünfundzwanzig Jahre alt. Man weiss das genau, denn ihre Alter sind im Bild vermerkt.
Beide sind ausgesprochen prächtig gekleidet, sogar Georges de Selve, ein Bischof und Diplomat im jungen Alten von 25 Jahren, kommt in Samt und Seide.
Sie stehen vor einem Tisch, der über und über mit verschiedenen Gegenständen bedeckt ist, astronomische Gegenstände, mathematische Bücher und Instrumente. Der Raum, in dem sie stehen, besitzt einen kostbaren Cosmatenboden. Im Hintergrund verdeckt ein Brokatvorhang offensichtlich einen weiterführenden Raum.
Im Dok Film wurde unter anderem die Frage erörtert: Wer war der Auftraggeber dieses Bildes? Wer hat es bezahlt? Schon diese Frage hat mich überrascht. Die zwei Jungs hier sind sehr prächtig gekleidet. Sie sehen aus, als würden sie sich sogar ein Bild von Hans Holbein leisten können, insbesondere, da sie ja zu zweit sind und vielleicht auch die Kosten teilen konnten.
Beide waren im Jahr 1533 auf diplomatischer Mission in England und man weiss, dass sie dieses Bild malen liessen, um ihre besondere Zeit und ihr Wirken in England zu dokumentieren.
Die Wissenschaftler, die in der Arte-Doku zur Sprache kommen, denken, dass sich die beiden Diplomaten aufgrund des besondern Bodens in Westminster Abbey befinden.
Er ist aus Marmormosaiken geschaffen, die typisch für eine italienische Werkstatt, die Kosmaten, bekannt sind. In England gibt es nur zwei Beispiele von diesen Arbeiten. Das ist einmal in Westminster Abbey und einmal in Canterbury.
Die Wissenschaftler der Doku glauben, dass dieser Boden eine Anspielung darauf sein soll, dass Anne Boleyn, die zukünftige Frau von Heinrich VIII. - zu dieser Zeit mindestens, wenige Jahre später liess er sie köpfen - habe diesen beiden Diplomaten dieses Bild geschenkt. Es sei ein Dank dafür, dass sie sie bei ihren Hochzeitsplänen mit Heinrich VIII. unterstützt haben. An dieser Stelle, wo sich in Westminster Abbey die Kosmatenarbeit befindet, wurde An Boylin zur Königin gekrönt.
Ich möchte dagegen folgende These zur Diskussion stellen.
Meine Vermung ist, dass die beiden Diplomaten sich tatsächlich in Westminster Abbey vor einer Seitenkapelle aufgebaut habe und malen liessen. Es befinden sich dort rundum Seitenkapellen. Eine davon könnte mit einem grünen Vorhang verhängt worden sein, als Bildhintergrund.
Es gibt noch einen weiteren Hinweis dafür, dass es so gewesen sein könnte, der Vorhang ist nämlich ein wenig zur Seite gerückt und dort wird ein steinernes Kruzifix sichtbar.
Bisher wurde dieses Kruzifix so gedeutet, dass Holbein es angebracht hat, um einen Gegenpol zum Totenschädel, dem Momento Mori zu zeigen, eine Botschaft der Hoffnung.
Das kann sein und macht für mich die Theorie mit der verhängten Seitenkapelle noch schlüssiger. In diesem Fall ist klar, warum das Kruzifix dort hängt und gleichzeitig bezieht es sich auf die Botschaft des Bildes. Eigentlich eine sehr logische Komposition.
Kirchen waren damals Mehrzweckgebäude. Man nutzte sie nicht nur für kirchliche Veranstaltungen, auch für diplomatische Treffen zum Beispiel. Einerseits waren sie würdige Empfangsorte und man hatte die Hoffnung, dass an diesen Orten alles mit rechten Dingen zuginge und Gott seine Auge auf Ehrlichkeit und Wahrheit hat.
Die beiden Gesandten stehen also nicht auf diesem Platz in Westminster Abbey, weil Anne Boleyn ihnen dankt und ihnen dafür dieses Bild schenkt, obwohl Arte erwähnt, es gibt Hinweise darauf, dass sie sich erkenntlich zeigte, wie ist unbekannt.
Die beiden wollten sich in diesem kirchlichen Raum darstellen lassen, um zu sagen, schaut her, unsere Diplomatie, unser Wissen, unsere Werte stehen auf einer christlichen Grundlage. Wir stehen an einem Gott geweihten Ort unter Gottes Schutz.
Für mich scheint diese Lesart des Bildes die Naheliegendste und die Natürlichste.
Gerne lasse ich mich vom Gegenteil überzeugen oder vielleicht von einer dritten Lesart.