Verschmelzung von Sammler und Sammlung: Das Beispiel Thyssen-Bornemisza
Muss ein Sammler Direktor seiner Sammlung sein? Seine Aufgabe ist es, auszuwählen, was in die Sammlung kommt, auch zu kuratieren, doch die Sammlung selbst ist eigenständig, ein in sich geschlossenes Objekt aus Kunst, das von aussen geformt wird.
Oder sollte der Sammler mit seiner Sammlung verschmelzen, so wie es Baron Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza de Kászon getan hat?
Wie das gelungen ist und was das für Thyssen-Bornemisza bedeutet, zeigen ein Gemälde des britischen Malers Lucian Freud (1922-2011) und eines des Rokokomalers Antoine Watteau (1624-1721).
Lucian Freud malte das „Porträt eines Mannes“, in den Jahren 1981 bis 1982.
Man sieht auf diesem Gemälde das Bildnis von Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza. Er trägt einen Glencheck-Sakko, weisses Hemd und dunkle Krawatte. Sein Haar ist im klassischen Seitenscheitel mit Pomade nach hinten gekämmt, er blickt versonnen vor sich hin. Vielleicht auch nur gelangweilt, die Sitzungen im Londoner Atelier Lucian Freuds dauerten ewig.
Thyssen habe sich in diesen Sitzungen mit Freud intensiv über Kunst unterhalten. Freud sagte über seine Portraitarbeit: "Ich versuche, mich so weit wie möglich in ihre Gefühle hineinzuversetzen, damit das Bild von ihnen handelt und nicht von mir."
Zwei Meisterwerke – Ein Porträt des Sammlers durch andere Künstler
Im Hintergrund sieht man ein Bild von Antoine Watteau. Es heisst „Pierrot Content“, also „Zufriedener Pierrot“. Watteau malte diese Fête galante, so heisst das im 18. Jahrhundert beliebte Genre, im Jahr 1712. Hans Heinrich Thyssen erwarb es 1977 für die Sammlung.
Für das Porträt hatte Thyssen das Original aber nicht extra zu den Modellsitzungen mitgebracht. Freud hatte eine Kopie angefertigt und diese an der Wand im Hintergrund angebracht.
Betrachtet man das Bild Watteaus, sieht man einen offensichtlich zufriedenen Pierrot auf einer Bank in einem Garten sitzend, ganz in weiss gekleidet, mit Hut. An seiner rechten Seite lehnt eine Lautenspielerin und rechts neben ihr sitzt einen weitere Gaukler, der die Lautenspielerin anhimmelt. Auf der linken Seite des Clowns ist eine weitere Gauklerin zu sehen und noch eine männliche Figur.
Der „zufriedene Clown“: Thyssens Blick auf sich selbst und die Welt
Im Gemälde Lucian Freuds nimmt Thyssen exakt die Position des Pierrot ein. Man sieht den Clown auf dem Porträt nicht mehr, aber man erkennt die Frau und den Gaukler, der sie bewundert. Thyssen verdeckt den Pierrot und tritt an seine Stelle. Der Maler macht ihn damit zum „zufriedenen Clown“.
Mit dieser Deutung lässt sich sein versonnener Blick vielleicht eher als resigniert verstehen. Thyssen weiss genau, was um ihn herum gespielt wird. Der Baron befand sich in diesen Jahren übrigens in Ehe Nummer vier von fünf, und verfügte damit bereits über eine gewisse Menschenkenntnis.
Lucian Freud ist ja nicht gerade für seine Zimperlichkeit bekannt – in seinen Bildern zeigt er oft mehr, als man sehen möchte. Und ich denke, Hans Heinrich Thyssen war sich dessen bewusst. Er liess den Künstler gewähren – liess sich von Lucian Freud durch die Kunst beschreiben und charakterisieren.
Dieses Porträt zeigt den Sammler und eines seiner Werke in einer intimen Beziehung. Thyssen ist Teil seiner Sammlung geworden.
Leider erlaubt der Blog keine Verlinkung und das Museum keine lizenzfreie Abbildung der Werke. Doch ich empfehle dringend, die Website zu besuchen und die beiden Bilder über die Suchfunktion zu finden und zu betrachten unter https://www.museothyssen.org/.