Zeitmaschinen, Freundschaften und ein abgewetzter Zettel: Mein Kunstjahr 2025

Als ich dieses Jahr angefangen habe, die Geschichten der Kunstgeschichte zu erzählen, fühlte sich das an, als würde ich einen alten Teppich ausklopfen. Mir war schon klar, dass dieser Teppich besonders kostbar ist, mit allergrösster Kunstfertigkeit geknüpft, voller Bilder, die ihre wundervollen Geschichten erzählen.

Aber ich war nicht sicher, ob ich fest genug draufhauen kann, damit der ganze Staub, der die Bilder unter sich versteckte, auch wirklich aus den Fasern fällt und ich das wertvolle Stück in seiner ganzen Pracht und Schönheit präsentieren kann.

Ich habe getan, was ich konnte.

Auch für mich sind 2025 viele Kunstwerke in neuem Licht erschienen und während ich mich bemüht habe, die Bilder noch klarer zu sehen, habe ich viel Neues und für mich Unbekanntes entdeckt.

Aus Kunstwerken werden Zeitmaschinen, wenn man sie lässt

Da war zum Beispiel die Geschichte von Willem van Heythuysen, der sich seinerzeit von Frans Hals hatte porträtieren lassen. Ich erzähle sie im Kurs „Kunstgeschichte on the road“, wo es um Museen, ihre Geschichte, die Sammlungsgeschichte und das Zurechtfinden im Museum geht, so dass man richtig viel an einem Museumstag erleben kann.

Das war wirklich ein toller Mann! Er hatte viel Gutes getan mit seinem Reichtum. Willem hatte aber auch ein Schicksal erlebt. Doch das Bild zeigt ihn kurz vor diesem Ereignis, am Höhepunkt seines Lebens. Sein Porträt wurde vom Fürsten von Liechtenstein gekauft, der rettete es vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nach Liechtenstein, dann verkaufte er es von dort nach München, gegen den Widerstand der Bevölkerung Liechtensteins, wo es jetzt ein wichtiges Stück in der Sammlung der Alten Pinakothek ist.

Dieses Bild hat mich richtig in die Welt des Goldenen Zeitalters der Malerei hineingezogen. Es war, als hätte ich eine Zeitmaschine bestiegen, die mich zum Schluss auch noch in die Zeit zwischen den Zweiten Weltkrieg und den 1960er Jahren meines winzigen Heimatlandes führte!

Maler, Dargestellter und das Bild selbst haben einiges zu erzählen. Willem und ich sind jetzt Freunde.

Städte sind wahre Zeitkapseln

Doch nicht nur Kunstwerke sind Zeitmaschinen. Städte sind, so finde ich, ganze Zeitkapseln. Als ich den Kurs „Kunstmetropolen Europas“ erstellt habe, ging es darum, die Kursteilnehmerinnen herumzuführen. Ihnen etwas an die Hand zu geben. Nicht um kunsthistorisch ausgebildet zu werden, sondern um Möglichkeiten zu haben, auf Reisen, eigene Welten zu entdecken. Dafür braucht es ein paar Informationen.

Als ich sie dann nach Hildesheim, jawohl Hildesheim, geführt habe, um Kunst der Romanik zu sehen, wurde mir selbst erst klar, was für einen Kosmos Bernward von Hildesheim als Auftraggeber um 1000 dort erschaffen hatte und zwar mit einem ausgeklügelten Plan. Er hat Hildesheim zu einem wichtigen Zentrum gemacht und das mit Kunstwerken dokumentiert. Ähnlich wie das die Medici in Florenz getan haben, 500 Jahre später.

Es ist übrigens leicht, auf einer Städtereise in ein bestimmtes Zeitalter zu reisen. Es braucht nur ein bisschen Disziplin. Suche im Reiseführer gezielt Architektur, Skulptur und Bilder im Museum aus, die zum Beispiel in Paris in der Belle Époque entstanden sind. Besuche ausschliesslich diese Orte. So kannst du richtig in die Zeit eintauchen.

Sehen lernen ist keine Begabung, sondern eine Entscheidung

Im Sommer sind wir für eine Familienfeier nach Bergamo gefahren. Natürlich wollte ich dem örtlichen Museum einen Besuch abstatten. Das Programm versprach unter anderem Bilder von Giovanni Bellini. Gut, dachte ich, die gibt es auch nicht massenhaft und obwohl sie sich für mich ziemlich verstaubt anfühlten (viel zu ideale Malerei Italiens für meinen Geschmack), bin ich hin, man weiss ja nie.

Genau so war es! Ich wusste nicht! Dieser Maler hat mir eine Lektion verpasst. Perfekte, lichte, helle, klare Landschaftsmalerei, davor ein schimmernder Seidentaftvorhang, um Maria und das Kind zu präsentieren. Die kleine Familie steht an einem täuschend echten Fenster und Maria muss ständig aufpassen, dass der kleine Jesus da nicht hinunterfällt, weil er immer herumklettern will. Seinen Namen hat Bellini auf einen abgewetzten Zettel geschrieben, den er achtlos auf die Fensterbrüstung geklebt hat, als wäre er echt. Trompe-l’ oeil nennt man diese Technik, das Auge täuschen.

Ja, so war das. Natürlich habe ich mich gefragt, wie mir das passieren kann: So viel schon gesehen, gelesen und auch von Bellini gewusst und hier musste ich kleinlaut zugeben, dass ich noch nie richtig hingesehen hatte. Ich habe ihm bis dahin nicht die Gelegenheit gegeben, seine Geschichte von Maria und dem Jesuskind zu erzählen.

Nicht nur die Kunst, sondern auch meine Kursteilnehmer haben mir geholfen, ordentlich Staub aus dem Teppich zu klopfen, denn eine Frage kam immer wieder: Sind hier Symbole versteckt und was sagen sie uns? Natürlich sind in einigen Kunstwerken Symbole versteckt, die der Aussage des Werkes eine noch weiterreichende Bedeutung geben sollen. Mir schien die Sprache der Symbole immer zu unscharf, als dass man in einem Kurs von wenigen Wochen darauf hätte eingehen können. Doch ich habe das Thema so weit wie möglich zusammengefasst und so gut wie ich konnte erklärt. Rate mal, wer jetzt kaum aufhören kann, nach Symbolen zu suchen, die die Aussage eines Kunstwerkes ergänzen und erweitern.

Noch mehr Feuer legen

Das sind nur einige Beispiele meiner Erlebnisse in diesem intensiven Jahr mit der Kunstgeschichte.

Mein Vorhaben im Jahr 2025 war nicht Lehrerin zu sein, sondern Begleiterin in die Kunstgeschichte. Einen Weg zu ebnen, damit die Kursteilnehmerinnen selbst losziehen können, ausgerüstet mit einem guten Rucksack an Basiswissen und Techniken (z.Bsp. den „Audio-Guide, der für jedes Kunstwerk funktioniert“), um sich alles gut anzusehen. Sie werden aber auch mit einem noch grösseren Rucksack an Selbstvertrauen ausgestattet, weil sie ab jetzt leicht Argumente finden werden, über ein Kunstwerk zu sprechen, auch ohne das Jahreszahlen-Rennen zu gewinnen.

Viele tolle Feedbacks und Testimonials beweisen, dass ich das eine oder andere Feuer entfachen konnte. Das wird auch mein Wunsch und Motto für das kommende Jahr 2026 sein: Ich werde noch mehr Leidenschaft schüren für alle diese grossartigen Artefakte, die mit so viel Talent, Können, Wissen, Einfühlungsvermögen und Respekt vor der Sache entstanden sind, dass wir sie über 1000 Jahre erhalten wollten. Alle diese Objekte, von Architekturen über Malereien zu Skulpturen erzählen uns die Geschichte unserer Gesellschaft. Jemand, der ihre Botschaft versteht und in die eigene Wirklichkeit übersetzen kann, hat eine unerschöpfliche Quelle an Erkenntnis für sich gefasst.

 Herzlichen Dank fürs Dabeisein, Mitgestalten, -lernen und -diskutieren, fürs Zuhören, für neue Blickwinkel und deine Freude an der Kunstgeschichte!

Ich wünsche dir ein wundervolles, Neues Jahr!

Deine Roswitha

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